Chorphantasie op. 80 von L. van Beethoven (1770 – 1827)

 

Der Pianist Carl Cerny, Beethovens Schüler von 1801-03, berichtet in seinen Erinnerungen:

„Als Beethoven 1808 das große Konzert im Theater an der Wien geben wollte, wo zum ersten Mal die Pastoral- und e-moll-Symphonie sowie das G-dur-Konzert aufgeführt wurde, kam ihm kurz vorher die Idee, ein glänzendes Schlußstück für diese Akademie zu schreiben. Er wählte ein schon viele Jahre früher komponiertes Liedermotiv, entwarf die Variationen, den Chor usw., und der Dichter Ch. Kuffner musste dann schnell die Worte (nach Beethovens Angabe) dazu dichten.“

Bei der Melodie (nach einer Idee von Gottfried August Bürger) ist unterschwellig bereits das Freudenthema der 9. Sinfonie (uraufgeführt 1824) herauszuhören.

Das Vorläuferwerk „Fantasie für Klavier, Chor und Orchester op. 80“ beginnt mit einem virtuosen, langen Klavier-Solo-Part, bis das Orchester dem Klavier hinzu und gegenüber tritt. Auch der Choreinsatz wird vom Klavier vorbereitet und begleitet. Dann entwickelt sich der Gesang zu einem freudigen Hymnus auf die Kunst, dabei entsteht ein Variationenspiel von Frauen- und Männerstimmen, angeregt und unterstützt von Klavier und Orchester.

 

Hier der Text:

Schmeichelnd hold und lieblich klingen
unsers Lebens Harmonien,
und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blüh'n.

Fried und Freude gleiten freundlich
wie der Wellen Wechselspiel;
was sich drängte rauh und feindlich,
ordnet sich zu Hochgefühl.

Wenn der Töne Zauber walten
und des Wortes Weihe spricht,
muss sich Herrliches gestalten,
Nacht und Stürme werden Licht,

äuß're Ruhe, inn're Wonne,
herrschen für den Glücklichen
Doch der Künste Frühlingssonne
lässt aus beiden Licht entsteh'n.

Großes, das ins Herz gedrungen,
blüht dann neu und schön empor,
hat ein Geist sich aufgeschwungen,
hallt ihm stets ein Geisterchor.

Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
froh die Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Lieb und Kraft vermählen,
lohnt dem Menschen Göttergunst.

 

 

Bemerkung: Der Text des Ch. Kuffner zeigt eine starke Zeitgebundenheit. Aus Anlass der 1951 in Berlin (Ost) stattfindenden Weltfestspiele der Jugend wurde der Dichter und spätere Kulturminister der DDR Johannes R. Becher beauftragt, für die Chorfantasie einen neuen Text zu verfassen. Becher schrieb über die Musik eine neue, der Zeitstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechende Friedensode (allerdings ohne konkrete ideologische oder politische Parteinahme), folgte dabei aber dem Text von Kuffner an einigen Stellen wörtlich.

Bechers Textfassung kam in erster Linie in der DDR zur Aufführung, auch existieren nur wenige Einspielungen mit ihr. Ihre dichterische Qualität wird teilweise klar über der von Kuffners Text stehend bewertet.

 

Eine Gegenüberstellung der beiden Texte:

        Chorfantasie (1808)

Schmeichelnd hold und lieblich klingen
Unsers Lebens Harmonien,
Und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blühn.

Fried' und Freude gleiten freundlich
Wie der Wellen Wechselspiel;
Was sich drängte rauh und feindlich,
Ordnet sich zu Hochgefühl.

Wenn der Töne Zauber walten
Und des Wortes Weihe spricht,
Muß sich Herrliches gestalten,
Nacht und Stürme werden Licht.

Äuß're Ruhe, inn're Wonne
Herrschen für den Glücklichen.
Doch der Künste Frühlingssonne
Läßt aus beiden Licht entstehn.

Großes, das ins Herz gedrungen,
Blüht dann neu und schön empor,
Hat ein Geist sich aufgeschwungen,
Hallt ihm stets ein Geisterchor.

Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
Froh die Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Lieb' und Kraft vermählen,
Lohnt dem Menschen Göttergunst.

     

          Geist und Kraft (1951)

Seid gegrüßt! Laßt Euch empfangen
Von des Friedens Melodien!
Unser Herz ist noch voll Bangen,
Wolken dicht am Himmel stehn.

Aber neue Lieder tönen,
Und der Jugend Tanz und Spiel,
Zeugt vom Wahren und vom Schönen,
Ordnet sich zu hohem Ziel.

Wo sich Völker frei entfalten
Und des Friedens Stimme spricht,
Muß sich Herrliches gestalten,
Nacht und Träume werden Licht.

Leben wird zu Lust und Wonne,
Wird zu aller Wohlergehn,
Und der Künste Frühlingssonne
Läßt die Welt uns neu erstehn.

Großes, das uns je gelungen,
Blüht im neuen Glanz empor.
»Friede, Friede ist errungen!«
Jubelt laut der Menschheitschor.

Nehmt denn hin, ihr lieben Freunde,
Froh der Gaben schöner Kunst.
Wenn sich Geist und Kraft vereinen,
Winkt uns ewigen Friedens Gunst.